» Kaum hören oder lesen wir ein Wort, macht es schon etwas mit uns. Es entfaltet eine Wirklichkeit. So funktioniert Literatur. Ein Wort kann aber auch unsere Vorstellung von dem färben, das wir angeblich gerade riechen. Das Stück Richtig Falsch habe ich aus Anlass dieser Ausstellung geschrieben und es hat in Görlitz seine Uraufführung. Es ist eine der in 2022 entstehenden Neuschöpfungen für das Osmodrama, in dem Jahr, das der Pandemie und all ihren Fragen folgt. Richtig Falsch verhandelt mehrere Ebenen in seiner Wirkung auf das Publikum: Kann man heute noch seinen Augen, seinen Ohren, seiner Nase trauen? …
… Wieweit können wir unserer Intuition noch glauben? Künstliche Welten, virtuelle Welten, erfundene Verhältnisse, Fälschungen, gefälschte Sachverhaltsdarstellungen verwischen die Grenzen zwischen wahr und unwahr, zwischen zutreffend und unzutreffend, zwischen richtig und falsch, wirklich und unwirklich.
Diese Sprach-Geruchskomposition Richtig Falsch spielt mit einer wesentlichen Eigenschaft unserer Wahrnehmung und unserer geistigen Verfassung: Wir wollen glauben. Wir wollen Sinn erleben. Um nicht zu sagen, wir müssen. So sehr, dass wir uns Sinn zurechtrücken, selber herstellen oder herbeireden, dort wo er nicht von selbst vorhanden ist. Es muss alles einen Sinn ergeben. Es muss eingeordnet sein damit wir Frieden haben. Und wenn wir etwas nicht kennen, dann beruhigt es uns schon, wenigstens einen Namen dafür zu haben, weil wir dann glauben
können, dass wir so schon wissen, was es ist. Bloßes Benennen lenkt oft schon vom Verstehen ab und ersetzt Erkenntnis, so als ob wir sagen: »Jetzt, da das Phänomen einen Namen hat, wissen wir ja, was es ist.« Dieses Stück als eines der maßgefertigten Osmodrama Stücke für Görlitz 2022 und die Zittauer Ausstellung ist mein Brückenschlag zu meiner zehn Wochen später in Zittau eröffnenden Museumsinstallation »Zentrum für offene Fragen — vom so ist das zum ist das so«, beides unter demselben übergeordneten Ausstellungskontext.
Und ein dritter starker Impuls liegt der Komposition zugrunde, der mir in der Arbeit an Osmodrama immer wieder begegnet: Es scheint uns immer wieder zu quälen, wenn uns der Name für einen uns bekannten und gerade wahrgenommenen Geruch, seine Bezeichnung nicht in den Sinn kommen will (»Ich kenne diesen Geruch so gut, aber mir fällt nicht ein, was es ist!«). Und sobald jemand einen Namen dafür nennt, der uns vom Raten erlöst, geht es uns besser. Oft schon egal ob die Bezeichnung wirklich zutrifft. Sogar falsche Beschreibungen, Fehlbezeichnungen, nehmen wir in Kauf, nur um unser angestrengtes Gedächtnis zu entlasten. Es erströmt der Geruch von Erdbeere, und zu hören ist etwa das gesprochene Wort »Himbeere«. Schon geben wir uns damit zufrieden, sobald es einigermaßen mit dem Geruch in sinnfällige Verbindung gebracht werden kann. Selten wird dann noch lange hinterfragt, ob das so ist. Richtig Falsch, das ist also auch die kleine Geschichte vom eigenen Wahrnehmungsaparat, der auszog, das Zweifeln zu lernen. In drei Sätzen zu je 15 Minuten werden wir mit Gerüchen und deren Namen in mehreren Sprachen konfrontiert und können dabei erleben, was sich bei der Übereinstimmung oder dem Widerspruch zwischen der Sprache und dem Geruch in uns ereignet.
Das Stück Richtig Falsch richtet sich im übrigen — wie ja das ganze Osmodrama-Festival 2022 im Kontext der übergeordneten Ausstellung überhaupt — auch an alle, die, oft genug durch eine Coronainfektion, ihren Geruchssinn ganz oder teilweise, für kurz oder lang, verloren haben, oder Geruchsstörungen haben, die bewirken, dass die Betroffenen ständig ‘falsch’ riechen.«